Das Neue Schloss in Ingolstadt ist ein Denkmalensemble von überregionaler Bedeutung. Doch die Bauten des 15. bis 18. Jahrhunderts sind aufgrund ausbleibender Sanierungen gefährdet. Insbesondere an der historischen Roßmühle zeigen sich nach jahrzehntelanger Vernachlässigung massive Bauschäden (auch der Donaukurier berichtete in der Ausgabe vom 23.01.2024 über die „Staatliche Sorgenimmobilie“).
Im Gegensatz zu Schlössern, Burgen oder Sakralbauten erfahren historische Wirtschaftsbauten wenig öffentliche oder wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Aktuelle militärische Konflikte, wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine, haben unseren Blick für die Bedeutung von kritischer Infrastruktur allerdings geschärft. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Ingolstädter Roßmühle neu in einen bauhistorischen und militärgeschichtlichen Kontext setzen.
Das Neue Schloss in Ingolstadt gehört dem Freistaat Bayern und wird heute vom Bayerischen Armeemuseum als Ausstellungsfläche, Depot sowie für Werkstätten und Büros genutzt. Auf dem Gelände am heutigen Paradeplatz hat sich nicht nur der Wohnbau des Schlosses (A) aus dem späten 15. Jahrhundert erhalten, der heute noch mit seinem ikonischen Donauturm, anspruchsvoll konzipierten gewölbten Räumen, einer Doppelkapelle und innovativer Militärtechnik vom repräsentativen Anspruch der bayerischen Herzöge zeugt. Von besonderem kulturgeschichtlichem Wert sind die zugehörigen Wirtschafts- und Speicherbauten, die wir heute als „kritische Infrastruktur“ bezeichnen würden: Auf der Nordseite des Schlosshofs liegt der durch seine Größe beeindruckende herzogliche Getreidekasten (E), der zwischen 1470 und 1474 errichtet und spätestens 1589 zum Zeughaus umgebaut wurde. Eine umfangreiche Publikation des Bayerischen Armeemuseums hat jüngst die wissenschaftliche Grundlage für die dringend nötige, denkmalgerechte Sanierung des Zeughauses geschaffen.
Sowohl der Umbau des Getreidekastens zum Zeughaus als auch die Errichtung der Roßmühle (G) am Schloss sind eng mit der Funktion Ingolstadts als bayerisches Landesfestung verbunden. Östlich der Statthalterei (B-D), dem Amtssitz des herzoglichen Verwalters, wurde zwischen 1566 und 1569 die Roßmühle – eine Mühle mit von Pferden betriebenem Mahlwerk – errichtet. Ihr historisches Dachwerk, dessen Zimmerholz 1565/66 und 1566/67 gefällt wurde, ist umfänglich erhalten, aber durch im Mauerwerk aufsteigende Feuchtigkeit massiv beschädigt. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war die Mühle als Teil der kritischen Infrastruktur der Festung Ingolstadt noch in Stand gehalten worden.
Die Roßmühle ist ein zweigeschossiger Ziegelbau, dessen Kellergeschoss im Schlossgraben steht. In Keller- und Erdgeschoss drehte sich noch bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Göpelwerk, mit dem das Mahlwerk der Mühle durch Pferdekraft betrieben werden konnte. Ingolstadt, seit 1472 Sitz der von den bayerischen Herzögen gegründeten Universität, wurde in den 1530er und 1540er Jahren zur Festung ausgebaut – ein herzogliches und damit staatliches Prestigeprojekt. Die Roßmühle war eine von nur zwei durch Pferde und nicht durch Wasserkraft betriebene Mühlen in Ingolstadt. Im Falle einer Belagerung stellte sie die Versorgung von Besatzung und Zivilisten sicher.
Die Baugeschichte der Roßmühle ist nicht nur durch die dendrochronologische Datierung des Dachwerks, sondern auch durch Schriftquellen gut fassbar. Zahlreiche Briefe Herzog Albrechts V. von Bayern (1528-1579) an seine Verwaltungsbeamten belegen, dass dieser sich persönlich um die Beschaffung von gutem Bauholz kümmerte (vgl. Siegfried Hofmann: Geschichte der Stadt Ingolstadt, Bd. 2.1: 1506-1600, Ingolstadt 2006, S. 841f. u. S. 1117). Eine besondere Rolle bei diesem fürstlichen Bauprojekt dürfte der Halbbruder Herzog Albrechts V., Georg von Hegnenberg (um 1509-1589 oder 1596), gespielt haben, der von 1565 bis 1589 Statthalter in Ingolstadt war.
Georg von Hegnenberg war ein erfahrener Feldherr. Er hatte seine Ausbildung am Hof Kaiser Karls V. (1500-1558) erhalten und wurde von diesem schon in jungen Jahren für seine Tapferkeit in den kaiserlichen Feldzügen ausgezeichnet. 1546 ernannte Karl V. Georg von Hegnenberg zu einem der fünf kaiserlichen Heerführer im Schmalkaldischen Krieg. Von Hegnenberg verfügte über praktisches und theoretisches Wissen in Kriegsführung und Belagerungstechnik. Möglicherweise geht die Errichtung der Roßmühle am Ingolstädter Schloss auch auf seine Initiative zurück.
Die Nutzung des Neuen Schlosses in Ingolstadt durch das Bayerische Armeemuseum setzt die lange Tradition Ingolstadts als Festung und Garnisonsstadt thematisch fort. Diese stark auf die militärische Geschichte Ingolstadts – und zumeist auf das 19. Jahrhundert – fokussierte Wahrnehmung ist allerdings auch eine Bürde. Die Sanierung und Nutzbarmachung militärischer Bauten oder einer strategisch bedeutsamen Mühle ist kein Projekt, mit dem die Bayerische Staatsregierung bisher den Mut hatte sich zu schmücken.
In Ingolstadt ist man sich der Bedeutung und des Potenzials einer umfänglichen Sanierung aller zum Neuen Schloss gehörenden historischen Bauten längst bewusst: Bereits 2015 hat die Stadtratsfraktion der Grünen sich um die Rettung der Roßmühle bemüht, in der Hoffnung, der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer würde sich den Denkmälern seiner Heimatstadt annehmen. 2021 wandte sich der Ingolstädter Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD) an den bayerischen Wissenschafts- und Kunstminister Bernd Sibler, um auf den kritischen Zustand der Roßmühle hinzuweisen. Seine Argumentation, die Roßmühle stelle in ihrem derzeitigen Zustand einen „optischen Schandfleck“ im repräsentativen Stadtareal um das Maritim Hotel und Congress Centrum Ingolstadt dar, mag eine politische Strategie sein. Sie zeigt jedoch umso deutlicher, wie dringend der Bau einer wissenschaftlichen Inwertsetzung bedarf.