Von Priscilla Pfannmüller //
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enn wir heute auf Reisen gehen, dann dokumentieren wir diese mit einer Flut an Bildern, die wir gerne über Instagram, Facebook und Co. mit unseren Freunden und Followern teilen. Mit welcher Intention machen wir das? Um unsere Reise für die Öffentlichkeit zu dokumentieren, getreu dem Motto: Ich war da? Um uns selbst darzustellen? Oder entstehen diese Aufnahmen vielleicht aus einem wissenschaftlichen Interesse heraus?Diese Fragen kann man nicht nur an heutige „Bilderzyklen“ von Reisen stellen, sondern auch auf wesentlich ältere Reisealben, etwa auf das sog. Reisealbum des Pfalzgrafen Ottheinrich von der Pfalz (1502-1559), übertragen.
Im Winter 1536/1537 machte sich der junge Pfalzgraf nach Krakau zu seinem Großoheim, König Sigismund von Polen (1467-1548), auf. Sein Ziel war es, die nicht vollständig ausgezahlte Mitgift seiner Großmutter Hedwig von Polen (1457-1502) einzutreiben. Vermutlich nach Beendigung der Reise entstand ein Album mit 50 topographischen Ansichten mitteleuropäischer Städte und Dörfer. Erst vor 10 Jahren wurde dieses Album in den Beständen des 1803 mediatisierten Zisterzienserklosters Ebrach der Universitätsbibliothek Würzburg wiederentdeckt.1
Aus welcher Intention heraus entstand dieses spektakuläre Album? Es ist hinlänglich bekannt, dass Ottheinrich von der Pfalz ein großer Förderer der Künste und vielseitig interessierter Sammler war. Diese Sammelleidenschaft zeigt sich beispielhaft am Inventar seiner Schreibstube von 1557: Neben Büchern und Bildern werden dort Münzen und Uhren unterschiedlichster Macharten aufgeführt.2 Die Bibliothek des Pfalzgrafen war mit etwa 400 Bänden weit über Neuburg hinaus bekannt.
Ab 1544 ist belegt, dass Ottheinrich, ganz im Sinne der humanistischen „Enzyklopädisierungswelle“, mit dem systematischen Sammeln von Büchern begann. Jedoch ist dieses Interesse nicht gleichzusetzen mit einem tiefgreifenden Studium der gesammelten Bücher; der Pfalzgraf war eben kein homo litteratus, sondern ein homo bibliophagus, d.h. ein Bibliophiler. Ihm war daran gelegen, den Dichtern und Denkern in seiner Umgebung alle für ihre Forschungen notwendigen Bücher bereitzustellen. Dennoch überrascht es, dass sich in der Bibliothek Ottheinrichs kein einziges (!) zeitgenössisches Werk eines Humanisten befand, auch antike Autoren waren nur spärlich vertreten.3
Um einige Namen zu nennen: Neben Petrus Lochitius Secundus (1528–1560) und Jacob Micyllus (1503–1558) förderte Ottheinrich beispielsweise den großen Gelehrten und Humanisten Philipp Melanchton (1497–1560).4 Die Hochachtung der Gelehrten vor Ottheinrich zeigt sich etwa in der Ekloge Nicer (dt.: Neckar) des Petrus Lochitius, in welcher der Flussgott Nicer ein Loblied auf den Pfalzgrafen singt (V. 10–84). Auch die Anordnung Ottheinrichs, Warmwasserleitungen in die Gärten zu verlegen, um beständig Heilkräuter verfügbar zu haben, unterstreicht sein Interesse an Kunst und Wissenschaften.5
Unter diesen Vorzeichen erscheint es nicht allzu verwunderlich, dass der Pfalzgraf seine Reise zu König Sigismund bildlich festhalten ließ – und sich dabei in eine alte Tradition stellte.
Bereits in der klassischen Antike wurden Reisen in Berichten festgehalten, etwa bei Herodot, Strabo oder Plinius. Dabei handelt es sich jedoch um schriftliche Traktate und nicht um Illustrationen eines Reiseweges. Ergiebiger hinsichtlich einer humanistischen Rezeption antiker Werke erscheint ein Blick auf Ptolomaeus Werk Cosmographia (auch Geographia genannt), worin Ptolomaeus nicht nur 8.100 Orte namentlich auflistete, sondern auch die Geographie der Orte auf 26 Landkarten abbildete. Dezidiert dieses Werk wurde als Ausgangsbasis für die topographischen Illustrationen zu Konrad Celtis‘ Quattuor libri amorum, den Amores (1502), herangezogen.6
Ein weiteres, zeitgenössisches Werk könnte als Vorbild für die Auftragsarbeit Ottheinrichs gedient haben: Das 1493 vom Nürnberger Mediziner und Humanisten Dr. Hartmann Schedel in Auftrag gegebene librum chronicarum. Bei der sog. Schedel‘schen Weltchronik handelt es sich ähnlich wie bei Sebastian Münsters 1453 erschienenen Cosmographia um ein topographisch-historisches Werk, in welchem die beschriebenen Orte mit Illustrationen versehen sind.7 Die Rezeption antiker Vorbilder tritt exemplarisch bei der Beschreibung Krakaus zu Tage. Dort referenziert der unbekannte Autor – vermutlich Celtis; und somit schließt sich der Kreis zu den Amores – Ptolemaeus‘ Beschreibung Krakaus in der Cosmographia:
„Die Königsresidenz Krakau im Anhang dieses bemerkenswerten Werks anzufügen hielt ich für nicht unangemessen. Denn Krakau ist als namentlich bekannte Stadt Germaniens bei Ptolemaeus bezeugt, dem besten und klar darstellenden Kosmographen, der sie Corrodunum nennt. Strabo aber definiert Germanien als das Gebiet, das zwischen Rhin und Elbe liegt.“8
Jedoch sind nicht alle Ansichten der Schedel’schen Weltchronik nach der Realität angefertigt und entspringen teilweise der Phantasie. Auch sind sie zunächst lediglich Symbole für die im Text genannte Städte. Dennoch wird der Versuch unternommen, von den Städten eine umfassende Ansicht zu schaffen, welche, durch den hohen Standort des Betrachters, Charaktereigenschaften eines Planes hat. Somit gehen die Ansichten der Chronik über Illustrationen hinaus und erlangen einen gewissen topographischen Anspruch.9
Erst die Stadtansichten Trients und Innsbrucks (1496/1497)10 von Albrecht Dürer sind nach der Natur gemalt. Daneben zeigen Dürers Aquarelle, dass „die Stadt“ zunehmend eines eigenen Bildes würdig war.11 In Italien dagegen wurde die Stadt schon früher als ästhetisch und damit gestaltungswürdig begriffen, wie Bauverordnungen oder frühe Stadtansicht, etwa von Florenz‘ (Veduta della catena, um 1472) zeigen.12
Die Reisebilder des unbekannten Meisters13 stehen in unmittelbarer Beziehung zu den genannten Werken. Auch diese entspringen einem gewachsenen historischen Verständnis und geben z.B. Zeugnis über die rechtliche Stellung von Siedlungen, weisen diese als Städte aus oder zeigen Brandschäden und Bauvorgänge. Daneben stehen die Stadtansichten für sich und dokumentieren wie ein zeittypischer Reisebericht, z.B. Erwin Reuwichs Peregrinatio (1492), die Reiseroute des Pfalzgrafen, ohne diesen jedoch zu kommentieren.14
Dass bei der Entstehung der Reisebilder nur ein Erinnerungsinteresse und kein darüber hinausgehendes Interesse an Topographie und/oder Architektur zu Grunde gelegen hat, erscheint unwahrscheinlich. Die Ansichten sind hinsichtlich architektonischer Besonderheiten oder landschaftlicher Charakteristika zu differenziert und elaboriert. Sie gehen über eine bloße Dokumentation hinaus und grenzen sich von den anderen Reisedokumentationen Ottheinrichs, den anlässlich seiner Pilgerfahrt in das Heilige Land gefertigten Gobelins oder dem von Johann Maria Werschitz verfassten Reisetagebuch über Ottheinrichs Rundreise auf der iberischen Halbinsel, ab.
Die Reisebilder sind folglich eine Vermischung von Reisedokumentation und humanistischem Interesse. Dafür spricht, dass Ottheinrich zwar ein großer Förderer der Humanisten war und auch ein dezidiertes Interesse an Karto- und Geographie hatte, sich aber selbst wohl weniger als Humanisten ansah. Die aufgezeigten Parallelen zu zeitlich früher datierenden Bildfolgen und deren theoretische Grundlagen machen es evident, die Entstehung der Reisebilder als auf einem humanistischen Interesse an Topographie und Geographie fußend anzusehen.
Auch die Maltechnik gibt einen Hinweis auf eine potentielle Nutzung: Die Ansichten scheinen nicht für eine breitere Öffentlichkeit geschaffen worden zu sein, sondern dienten vornehmlich dem privaten Gebrauch; unter Umständen dienten sie sogar als Anschauungsmaterial für forschende Humanisten in der Bibliothek des Ottheinrich.
Ob die Aquarelle des Pfalzgrafen nun aber „nur“ der Erinnerung an eine hoch politische Reise oder als Anschauungsmaterial für die daheimgebliebenen, forschenden Humanisten diente und aus humanistischem Förderungsinteresse entstanden – das kann nicht abschließend geklärt werden, so wie nicht immer geklärt werden kann, ob Bilder, die wir aus wissenschaftlichen Gründen machen und aus ästhetischen Gründen teilen, nicht auch der Selbstinszenierung im Internet dienen…
Literatur
Ammerich, Hans und Hartmut Harthausen (Hrsg., 2008): Kurfürst Ottheinrich und die humanistische Kultur in der Pfalz. Speyer: Verlag der pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer.
Großmann, G. Ulrich (2012): Die Architektur im Werk des jungen Dürer, in: Hess, Daniel und Thomas Eser (Hrsg.): Der frühe Dürer. Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum vom 24. Mai bis 2. September 2012, S. 221-235.
Hubach, Hanns (2014): „Ist auch allzeit gewesen Weisheit und Kunst geneigt,“ in: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Luther und die Fürsten. Selbstdarstellung und Selbstverständnis des Herrschers im Zeitalter der Reformation. Aufsatzband. Dresden: Sandstein Verlag.
Langer, Brigitte (2016): Schloss Neuburg an der Donau und seine Kunstschätze. Von der Nebenresidenz Ludwigs des Bärtigen zum Residenzschloss Ottheinrichs, in: Brigitte Langer, Thomas Rainer (Hrsg.): Kunst&Glaube. Ottheinrichs Prachtbibel und die Schlosskapelle Neuburg, Ausst.Kat. Schloss Neuburg a.d. Donau, Regensburg 2016.
Petersohn, Jürgen (1957): Albrecht von Preußen und Ottheinrich von der Pfalz. Ein vergleichender Beitrag zur deutschen Fürstenkultur und Bibliotheksgeschichte der Renaissance, in: Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 39, 323-360.
Marsch, Angelika, Thomas Schulz und Mathias Marx (Hrsg., 2003): Reise durch Europas Mitte. Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/37. Potsdam: Deutsches Kulturforum östliches Europa.
Marsch, Angelika (2003): Bilder und Dokumente zur Reise des Pfalzgrafen Ottheinrich nach Krakau und Berlin 1536/37. Würzburg: Königshausen & Neumann,
Marsch, Angelika, Josef H. Billder und Frank-Dietrich Jacob (Hrsg., 2001): Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/1537 von seinem Ritt von Neuburg a.d. Donau über Prag nach Krakau und zurück über Breslau, Berlin, Wittenberg und Leipzig nach Neuburg. Kommentarband. Weißenhorn: Anton H. Konrad Verlag
Pabel, Angelika (2002): Reise, Rast und Augenblick. Mitteleuropäische Stadtansichten aus dem 16. Jahrhundert. Dettelbach: Röll.
Pfeiffer, Gerhard (1971): Nürnberg – Geschichte einer europäischen Stadt. München: C.H.Beck, 128.
KatAus Amor als Topograph. 500 Jahre Amores des Conrad Celtis, hg. Von Claudia Wiener, Jörg Robert, Günter und Ursula Hess, Schweinfurt 2002.
KatAus Weltvermesser. Das goldene Zeitalter der Kartographie, hg. von Michael Bischoff, Vera Lüpkes und Rolf Schönlau, Dresden 2015.
Rücker, Elisabeth (1988): Hartmann Schedels Weltchronik. Das größte Buchunternehmen der Dürer-Zeit. München: Prestel.
1 Siehe hierzu: Marsch/Schulz/Marx (Hrsg., 2003), Marsch/Biller/Jacob (Hrsg., 2001) und Pabel (2002).
2 Vgl.: Langer (2016): S. 29 sowie Inventarium über meins gnedigisten Herrn Schreibstübln zu Neuburg, Anno 1557, BHStA München, Abt. GHA, Pfälzer und Pfalz-Neuburger Akten 2690.
3 Zur gezielten Akquise von Büchern durch Ottheinrich vgl. Schreiben Martin Bucers an Heinrich Bullinger vom 31. Oktober 1544 bzgl. der Übersendung eines Exemplares der „Bibliotheca universalis“ des Conrad Gesner. Zitiert in: Ammerich/Harthausen (Hrsg., 2008): S. 48. Weiterhin sei auf Petersons Aufsatz von 1957 zur Bibliotheksgeschichte der Renaissance verwiesen, in welchem er Ottheinrich Herzog Albrecht von Preußen gegenüberstellt.
4 Zur Förderung von humanistisch-reformatorischen Gelehrten durch Ottheinrich siehe: Hubach (2014): 253-265.
5 Ammerich/Harthausen (Hrsg., 2008): S. 35ff.
6 KatAus Amor als Topograph (2002): S. 96f.
7 Pfeiffer (1971): S. 128.
8 Zitiert nach: KatAus Amor als Topograph (2002): S. 96 .
9 KatAus Weltvermesser: S. 139 und Rücker (1988): 115ff .
10 Zur Datierung siehe Großmann (2012): S. 222.
11 Die Ansicht, die Aquarelle dienten nur Studienzwecken, wie sie etwa von Löcher und Roeck vertreten wird (KatAus Weltvermesser 2015: 140 und Löcher 1986: S. 59), ist wegen der enormen Detailliertheit und des vollendeten Charakters des Innsbruck-Aquarells zu verwerfen. Siehe auch: Großmann (2012): S. 223.
12 KatAus Weltvermesser 2015: 141.
13 Die Frage nach dem Meister ist äußerst schwierig und in der Forschung hoch umstritten und soll an dieser Stelle außer Acht gelassen werden.
14 Marsch vertritt die Meinung, dass ein Kommentar zu den Bildern angedacht war oder verloren gegangen ist.
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